Einige Anmerkungen zu einem Arbeitskampf

Folgender Bericht erschien in „Anarchosyndicalisme!“ (No. 171, Jan-Fev 2021), der Zeitschrift der CNT-IAA Frankreich :

Warum kämpfen? Wie kämpfen?

Die Antwort auf „Warum kämpfen“ ist offensichtlich: Die Welt, in der wir leben, ist grundlegend ungerecht und ungleich verteilt, wobei das Wohlstandsgefälle maßlos angewachsen ist und nichts, aber auch gar nichts, so etwas rechtfertigen kann. Schlimmer noch, dieses System ist selbstmörderisch und seit Anfang dieses Jahrhunderts erfahren wir Tag für Tag mehr darüber, wie dessen rasende Gewalt sich nicht nur gegen Menschen richtet, sondern auch gegen die Natur, die Tieren und den Planeten:

Um sich mehr und mehr Reichtümer anzueignen, schrecken Einzelpersonen, Unternehmen und Staaten nicht davor zurück, das grundlegende natürliche Gleichgewicht zu zerstören. Der Kapitalismus stellt eine tödliche Bedrohung für das Leben auf dem Planeten dar.
Wie kämpfen? Für uns Anarchosyndikalist*innen ist die Antwort eindeutig: Überall und an jedem Ort setzen wir uns dafür ein, dass unser ethisches Bewusstsein, unser Wille und unsere Würde respektiert werden, ebenso wie unser Grundsatz sozialer Gerechtigkeit und die Verweigerung von Kompromissen.

Gegen die brutale Macht der Herrschenden und die Gewalt des Systems setzen wir unsere Wertvorstellungen: Die Zusammenarbeit aller Menschen, die Solidarität und die gegenseitige Hilfe der Ausgebeuteten, das Bewusstsein ein Ziel zu Erreichen und die Kraft aus der Gewissheit, dass es keinen anderen Weg gibt, sowie dass unser Kampf gerecht und sinnvoll ist.

Nun aber wurde ein Genosse von uns, als Vertreter und Verteidiger dieser Werte, das Opfer von Repression in dem Unternehmen, bei dem er angestellt ist. Er wurde vor Gericht angeklagt und schwer bestraft, weil er auf seine Rechte bestanden und deren Anerkennung eingefordert hat, was sich daher wie ein Angriff auf alle Anarchosyndikalist*innen anfühlt.

Bei dieser Firma in Montluçon, welche chemische Produkte herstelllt, wurde unser Genosse Juani infolge seiner revolutionären Gewerkschaftsaktivitäten und Einstellungen gefeuert. Die Vorgesetzten haben einerseits versucht, ihm die Verantwortung für „Fehler“ bei der Arbeit anzuhängen, welche er nicht verursacht hat. Und andererseits haben sie die Gelegenheit genutzt, um ihn rauszuschmeißen, weil er auf öffentlicher Straße am Fabriktor ein gewerkschaftliches Flugblatt verteilt hat. Sie haben auch seinen Lohn einbehalten und ihn zum Vorgespräch wegen einer Entlassung geladen.

Dieses Flugblatt gab die bei zahlreichen Arbeiterinnen dieses Unternehmens weitverbreitete Ansicht wider, dass der multinationale Konzern BASF als Hauptkunde der Firma sich auf scheinheilige Weise darstellt. Diese Heuchelei erlaubt dem Unternehmen einerseits seinem Zulieferer, Vorträge in Sachen Ökologie und sozialer Verantwortung zu halten. Aber in Wirklichkeit (wie zahlreiche Berichte und öffentliche Zeugenaussagen in mehreren Zeitungen, Zeitschriften und im Internet belegen) ist diese Firma andererseits in erster Linie darauf aus, ihre Gewinne zu maximieren. Und dass sie dabei nicht davor zurückschreckt, die Gesundheit ganzer Bevölkerungen zu gefährden und ihre zahlreichen Arbeiterinnen zu unterdrücken. Unmittelbar nach dieser Strafmaßnahme, die ebenso empörend wie unverhältnismäßig ist, hat unser Genosse gemeinsam mit anderen Arbeiter*innen die Gründung einer gewerkschaftlichen Betriebssektion verkündet…

Bei einer Demonstration gegen das Sicherheitsgesetz [loi sur la sécurité globale] hatte unser Genosse alle gerechtigkeitsliebenden Menschen eingeladen mitzukommen, um ihn bei einer Kundgebung wegen dieses Mitarbeitergesprächs zu unterstützen. Mehrere Leute, darunter auch Mitglieder gewerkschaftlicher Organisationen (CGT, SUD)[1] versprachen Unterstützung und sagten ihre Teilnahme zu. An dem vereinbarten Tag erschienen 25 organisierte Personen (CNT-IAA, CGT, CNT-SO, FO)[2] und Unorganisierte (Anarchist*innen, Einzelpersonen,…) vor dem Betriebseingang. Unser Genosse ging dann mit einem Aktivisten der FO-Gewerkschaftsjugend im Unternehmen als Beistand in das Gespräch. Der Chef bestätigte dabei, dass Juani wegen dem Verteilen des Gewerkschaftsflugblattes sanktioniert wurde.

Der Vertreter von FO bat dabei den Chef „nachsichtig zu sein, weil Juani alt ist“ u.s.w., wobei diese Formulierung erbärmlich und unwürdig war, denn durch sie wurde Juani als schuldig anerkannt. Diese Person hat wohl nicht ganz verstanden, dass wir in einer Klassengesellschaft leben und dass das Gesetz vom Staat gemacht wird, um die Interessen der Chefs zu schützen. Und dass eine Schuldanerkennung bedeutet, den Kampf aufzugeben und das Sklavendasein anzuerkennen. Die beiden Aktivist*innen der CGT im Unternehmen glänzten derweil durch ihre Abwesenheit.

Insgesamt haben die im Unternehmen organisierten Gewerkschaftsaktivistinnen kein Mitgefühl gezeigt und nichts dafür getan, damit sich die Arbeiterinnen mit unserem Genossen solidarisieren. Oder um über die Hintergründe des Konfliktes aufzuklären, das skandalöse Vorgehen des Chefs und den dreisten Angriff gegen die Demokratie anzuprangern, bei dem schon das Verteilen eines gewerkschaftlichen Flugblattes auf öffentlicher Straße bestraft wird. Sie haben ebenfalls unterlassen sich dagegen auszusprechen oder zumindest das Verhalten des Arbeitgebers öffentlich zumachen (die Anstellung eines Wachmanns, das Verschließen der Betriebseingänge während der Protestkundgebung, den Arbeiter*innen das Verlassen des Betriebes zur Unterstützung unseres Genossen zu verweigern, die versteckten Drohungen, u.s.w.).

Zwei Tage danach wurde unser Genosse vor Gericht geladen und der Chef bestritt dabei die Rechtmäßigkeit der Gründung einer Gewerkschaftssektion. Die Lokalsekretärin der CGT hatte ebenfalls an der Kundgebung teilgenommen und öffentlich vorgeschlagen, unseren Genossen mit dem Rechtsanwalt der CGT in Kontakt zu bringen. Auf Bitten der Verteidigung empfahl sie jedoch, die Gründung der Betriebssektion der CNT-IAA zu widerrufen: Offensichtlich fällt es gewissen Organisationen leichter, flammende Reden zu halten oder ihre Organisationsfahnen zu schwenken, als vor einem bürgerlichen Gericht die Sache eines kämpferischen Anarchosyndikalisten zu unterstützen.

Obwohl zwei Werktage nach dem Erhalt der Vorladung die CNT-IAA eine stabile Verteidigung für Juani organisiert hatte, ging er in Begleitung einiger Aktivist*innen zu der Gerichtsverhandlung. Tags drauf wurde ihm mitgeteilt, dass die Gründung der Gewerkschaftssektion abgelehnt wurde. Ohne Lohn und Zuschläge wartet er nun darauf, welche Strafmaßnahmen ihm von der Unternehmensführung auferlegt werden.

Aktueller Nachtrag:
Der Genosse Juani wurde wegen dem Verteilen des Flugblattes entlassen. Eine Unterstützungskasse für ihn wurde eingerichtet. Hier unsere Adresse, wenn ihr uns schreiben wollt:
CNT-AIT, 7 rue St Remesy, F-31000 Toulouse

Sendet eure Schecks (Empfänger: cntait) oder Überweisungen (Empfänger: cdes) mit dem Stichwort „Solidarität J.C.“ an IBAN: fr36 2004 1010 1603 0872 1H03 752

Quelle:
http://www.cntaittoulouse.lautre.net/IMG/pdf/anarchosyndicalisme_171.pdf

Erläuterungen:

1) CGT: Confédération générale du travail;
SUD: Solidaires Unitaires Démocratiques

2) CNT-AIT: Confédération Nationale du Travail – Association Internationale des Travailleurs;
CNT-SO: Confédération Nationale des Travailleurs – Solidarité ouvrière;
FO: Force ouvrière

Übersetzung und Anmerkungen:
Anarcho-Syndikalistisches Netzwerk – ASN Köln (https://asnkoeln.wordpress.com)

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